Sälrig – Begleitung am Lebensende

Den Weg, den du vor dir hast, kennt keiner.
Nie ist ihn einer gegangen, wie du ihn gehen wirst.
Es ist dein Weg.
(Verfasser unbekannt)
Ein Gespräch mit Véronique Ohlmann und Cordula Ernst über die im letzten Jahr abgeschlossene Sälrig-Ausbildung im Tibethaus Deutschland.
Frankfurt, Bockenheim im April 2015.
Ich bewundere, dass Ihr Euch so etwas antut!
Diesen Kommentar kennen bestimmt viele aus unserer Ausbildungsgruppe. So oder ähnlich waren viele Reaktionen darauf, wenn wir im letzten Jahr davon berichtet haben, an einer Weiterbildung zur „Sterbebegleitung“ (oder wie wir es lieber formulieren wollen: einer „Begleitung am Lebensende“) teilzunehmen. Über Sterben und Tod wird heutzutage immer noch eher leise und gedämpft gesprochen – „schwere“, traurige Themen sind das. Dabei waren wir uns alle in unserer Gruppe einig: Spaß und Lachen und das Leben an sich gehörten zu unserer Ausbildung! Der Tod und das Sterben gehören im Grunde mitten ins Leben. Aber leider verdrängen wir das normalerweise allzu gerne. Gestorben wird später.
Und warum habt Ihr diese Ausbildung gemacht?
Die Motivationen der Teilnehmer/innen waren ganz unterschiedlich. Teilweise waren es berufliche oder spirituelle, aber im Grunde überwiegend persönliche Beweggründe, die auf privaten Erlebnissen und Begegnungen mit Schwerkranken oder mit dem Tod in Familie oder Freundeskreis basierten. Bei vielen von uns haben diese meist tiefgreifenden Erfahrungen das Bedürfnis geweckt, sich intensiver mit Sterben und Tod auseinanderzusetzen, um einen klareren Umgang mit der eigenen Sterblichkeit und der Begleitung Sterbender zu erlernen.
Kann man den Umgang mit dem Tod denn lernen?
Wir haben dem Thema Sterben und Tod mehr Raum gegeben und dabei gelernt, die eigene Wahrnehmungsfähigkeit zu sensibilisieren für Achtsamkeit und Mitgefühl. Das ist der erste Schritt, um den Blick für die Bedürfnisse Sterbender klarer werden zu lassen. Unsere Selbstfürsorge dient letztlich als Basis für die Kommunikation mit den Sterbenden. Eine gesunde Selbstwahrnehmung kommt dem Blick für andere zugute. Empathie kann man lernen.
Es geht also um Selbsterfahrung?
Zu erkennen, wo man selbst gerade steht im Leben, wo die eigenen Stärken und Schwächen, Bedürfnisse und Unsicherheiten sind – und demzufolge auch die der anderen – und das in praktischen Übungen deutlich zu fühlen und zu erleben, das sind sehr tiefe Erfahrungen, die die Selbstwahrnehmung schulen und die eigene Entwicklung voranbringen. Wir wurden mit unseren Ängsten konfrontiert, haben unsere Grenzen erlebt (und teilweise überwunden) und konnten somit auch Teile der eigenen Biographie aufarbeiten. Dabei war gerade der Erfahrungsaustausch mit Einzelnen und in der Gruppe besonders wichtig und wertvoll. Selbsterfahrung stand also für uns alle im Mittelpunkt.
Das hört sich nach großem Vertrauen innerhalb der Ausbildungsgruppe an.
Unsere Gruppe war „wie ein bunter Strauß“, wie unsere Ausbildungsleiterin Corina abschließend bemerkte. 20 Menschen mit unterschiedlichsten Lebenserfahrungen, den verschiedensten beruflichen Hintergründen, unterschiedlichen Alters und auch unterschiedlicher Glaubensrichtungen haben sich zu einer vielschichtigen Gemeinschaft zusammengefunden.
Wir haben gemeinsam gearbeitet, gelebt, gelacht, geweint und uns damit zusammen etwas erarbeitet. Das Vertrauen zueinander und ein achtsamer, mitfühlender, toleranter Umgang miteinander hat einen intimen Rahmen geschaffen, der es ermöglichte, sich auf neue Gefühlswege einzulassen. Dadurch entstand eine große Verbundenheit.
Die Ausbildung dauert recht lange.
Ja, knapp 2 Jahre – ein langer Zeitraum, der aber notwendig ist, um dem persönlichen Wachstum Raum zu geben. In dieser Zeit bekamen wir u.a. in Vorträgen, Wochenendseminaren und Praxisnachmittagen einen Einblick, welche Fragestellungen und Themen für ehrenamtliche Hospizbegleiter wichtig sind. Hoch qualifizierte Referenten vermittelten uns umfassendes Grundlagenwissen, z.B. zu spirituellen, juristischen, pflegerischen und medizinischen Themen.
Zwischen den einzelnen Arbeitseinheiten lagen immer mehrere Wochen, die wichtig waren, um das Erlebte wirken zu lassen und zu verarbeiten. Ein 20-stündiges Praktikum in einem Hospiz rundete die Ausbildung zusätzlich ab.
Was nehmt Ihr jetzt mit „ins Leben“ nach diesem Kurs?
Demut – vor den Sterbenden und deren Sterbeprozess, der immer individuell und einzigartig ist, vor dem Tod und dem Leben. Mehr Verständnis und Mitgefühl - für Sterbende, deren Angehörige - und auch für uns – und letztlich mehr Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten.
Für wen ist diese Ausbildung empfehlenswert?
Für alle, die über die Auseinandersetzung mit Sterben und Tod durch eine Schule fürs Leben gehen wollen!
Wie geht es nun weiter?
Wir treffen uns weiterhin zu Fortbildungen, Praxisnachmittagen, Schweigeretreats oder einfach zum Austauschen. Aktuell planen wir den Aufbau eines ambulanten Hospizdienstes unter Führung des Tibethauses. Der nächste Sälrig-Ausbildungskurs wird dann im Frühjahr 2016 beginnen. Ein erster Informationsabend diesbezüglich findet voraussichtlich im Dezember dieses Jahres statt.
Interessierte können sich schon jetzt im Tibethaus-Büro in eine Liste eintragen lassen.
Ein letztes Wort?
Ja. Vor allem unser Dank an unsere Kursleiterin Corina, die mit ihrem liebevollen und
einfühlsamen Engagement diese Ausbildung ins Leben gerufen und organisiert hat. Ebenso danken wir Patrick und Jeannette für ihre unermüdliche praktische Hilfe.
Wir haben diese Ausbildung als Geschenk empfunden!
„Sälrig“ ist ein tibetisches Wort und bedeutet „Klarheit und Weite des Geistes“.